«Daheim in der Fremde»: Ein Buch über die Flucht

Die Obwaldner Autorin Heidy Gasser spricht über ihr Buch «Daheim in der Fremde». Darin erzählt sie vom Leben ihrer Mutter Friederike Gasser-Lechner, die als 25-Jährige kriegsbedingt aus der Südoststeiermark nach Lungern kam. Derzeit ist sie auf Lesetour, um ihr Buch vorzustellen.

Das Buch «Daheim in der Fremde» handelt vom Abschied von Friederike Gasser-Lechner, der Mutter der Autorin Heidy Gasser, von ihrer Heimat. Mit 25 Jahren floh Friederike aus der Südoststeiermark in Österreich nach Lungern in Obwalden. Am Mittwochabend trafen sich 20 Personen im kleinen Dorf Amsteg, um den Erzählungen von Heidy Gasser, der Autorin des Buches, zu lauschen.

«Sie hatte keine Chance, in ihrer vom Krieg zerstörten Heimat Arbeit zu finden» erzählt Heidy Gasser im Interview. Wenige Monate vor Friederikes Abreise sei sie Opfer einer Vergewaltigung geworden, auch deshalb habe sie sich dazu entschlossen, in die Schweiz zu gehen, erzählt die Autorin. An einem kalten Wintermorgen verabschiedete sie sich von ihrem Sohn und ihrer Mutter und zog los.

Das neue Leben auf dem Bauernhof

In Lungern arbeitete Friederike ab dem Jahr 1950 als Magd auf dem Bauernhof der Familie Gasser. Diese bestand aus den Brüdern Naz, Sepp und deren Schwester Marie. «Vom ersten Tag an war meine Mutter nicht mehr die Friederike, sondern das ‘Mägdli’», sagt sie. Mit Naz besuchte Friederike immer den Gottesdienst in der Kirche. Auf dem Weg dorthin grüsste sie die Leute, wie sie es von zu Hause gewohnt war, aber die Leute grüssten nicht zurück. «Ich fühlte mich einsam und hatte schreckliches Heimweh, mein früheres Leben schien ausgelöscht», zitiert Gasser ihre Mutter im Buch. 

Das Geld, das sie als Magd bei der Familie verdiente, schickte sie nach Hause zu Mutter und Sohn. Nach etwa fünf Jahren starben Naz und Marie, und Sepp und Friederike waren allein auf dem Hof. Sepp machte sich auf die Suche nach einer Frau. «Es war Zeit für meine Mutter, nach Hause zu gehen», erzählt Heidy. Doch eines Tages beim Heuen kam ein Bekannter auf Friederike zu und überredete sie, Sepp, für den sie arbeitete, zu heiraten und in Lungern zu bleiben. Und so geschah es: Sepp und Friederike heirateten. Von diesem Tag an war die Steirerin weder die Friederike Lechner noch das «Mägdli», sondern die Friederike Gasser. «Aber ich blieb eine Fremde in Lungern», sagte Friederike. 

Eine begnadete Erzählerin und eine aufmerksame Zuhörerin

Als Sepp im Jahr 1967 starb, verpachtete Frieda Gasser den Hof und vermietete ihr Haus an Feriengäste, um Geld zu verdienen. «Jeden Herbst sind wir in die Steiermark gefahren», erzählt Heidy Gasser. Auch nach dem Tod von der zurückgebliebenen Mutter und dem Sohn blieb die Steiermark ihre Heimat. «Meine Mutter hat sich oft gewünscht, alle ihre verstorbenen Freunde und Verwandten an einem friedlichen Ort wieder zu treffen», erzählt Heidy.

2016 verstarb Friederike Gasser-Lechner und hinterliess das Grundstück in Lungern ihrer Tochter Heidy Gasser. Die Autorin erzählt: «Als letztes Kleid trug sie das steirische Trachtenkostüm.» In der Dachkammer des Bauernhauses bewahrt Gasser noch heute den traditionellen steirischen Hut auf, mit dem ihre Mutter in die Schweiz gekommen war. Auch die roten Notizbücher, in denen ihre Mutter über 36 Jahre lang ihre Gedanken notierte, sind dort gut versteckt. Aber auch die Kisten voller Tonbandkassetten, auf denen Friederikes Erzählungen zu hören waren. «Meine Mutter war eine begnadete Erzählerin und ich eine aufmerksame Zuhörerin», sagt Heidy.

Aber nicht erst als Heidy anfing, Tonaufnahmen zu machen, erzählte ihre Mutter aus ihrem Leben. Schon früher habe sie immer offen über fast alles gesprochen. In der Steiermark war das ganz normal, da gab es wenig Geheimnisse, die man voreinander verbergen konnte oder wollte. «Der Witz und der Schalk waren überlebensnotwendig», erzählt Gasser. Damit gelang es den oft harten Alltag aufzuheitern. «Durch das Schreiben bleibt sie in der Nähe, als müsste ich nie Abschied nehmen», sagt Heidy.

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